In the booth or in the hen house – experts all around | Dolmetschkabine oder Hühnerstall – Expertentum, wohin man schaut | Entre expertos: ya sea en el gallinero o en la cabina de interpretación

Huhn

+++ for English see below +++ para español, aun más abajo +++

Wie inspirierend der Bau eines Hühnerhäuschens sein kann, erschließt sich eventuell nicht auf den ersten Blick. Wer im Laufe der letzten Monate die Kabine mit mir teilen und meine Hühnerfotos bewundern musste, fragt sich aber vielleicht schon seit Längerem, wann die Hennen denn nun Eingang in diesen Blog finden. Nun denn:

In den vergangenen Herbstferien haben mein Vater, mein Sohn, meine Tochter und ich uns anderthalb Tage mit dem Bau eines Hühnerhauses vertrieben. Mein Vater kommt aus der Saunabau-Branche und verfügt über einen exzessiv gut ausgestatteten Werkraum und es war ein außerordentliches Vergnügen, gemeinsam zu werkeln. Im Nachgang betrachtet fällt mir dabei auf, dass es mir durchaus schön häufiger Freude bereitet hat, Experten bei ihrem Tun auf die Finger zu schauen – ein angenehmer Nebeneffekt der extremen (zunehmenden) Fachlichkeit der meisten Dolmetscheinsätze. Dabei ist mir einerlei, ob ich einem Programmierer, einem Hufschmied, einem Schlachthausinspekteur, einem Patentanwalt oder einem Statistiker zuschauen oder zumindest zuhören darf. Bestimmte Verhaltensmuster scheinen vielen Experten gemein, die ich sowohl bei dem hühnerstallbauenden Saunafachmann als auch bei Konferenzdolmetschern wiederzufinden meine:

  • Wir machen keine halben Sachen. Nicht am Material sparen – kein billiges Sperrholz, sondern ordentliche OSB-Platten. Nicht schnell, schnell, sondern durchdacht. Wir sind immer gut vorbereitet. (Wir mögen weder schlechten Ton noch schlecht sitzende Kopfhörer und noch viel weniger schlechte Informationsversorgung im Vorfeld einer Veranstaltung.)
  • Wir kaufen nicht das hübsche 300-EUR-Hühnerhaus bei Amazon von der Stange, sondern wir wägen ab, was in diesem Garten und an diesem Haus individuell am besten funktioniert (in diesem Fall eine Kernbohrung in die Garage und das Hühnerhaus von innen dagegengesetzt). (Wir dolmetschen das, was der Redner gerade in diesem Moment meint, und nicht mit dem Wörterbuch. Wir finden für jede noch so abwegige Situation einen passenden Dolmetschmodus.)
  • Wir besitzen so viel Vorstellungsvermögen, dass wir – zunächst auf dem Papier – von null an das perfekte Häuschen konzipieren, das dann aus einem Haufen vom Baumarkt zugeschnittener Holzplatten zusammengebaut wird. (Wir wissen genau, ob simultan oder konsekutiv besser funktioniert und wie wir ein Team für genau diesen Kunden richtig zusammenstellen. Ebenso wie wir die Rede mit dem Redner mitdenken und dem anderssprachigen Zuhörer eine Version davon präsentieren, die für ihn funktioniert.)
  • Wenn wir auch noch nie im Leben einen Hühnerstall gebaut haben, so arbeiten wir uns ein und übertragen unser Wissen und unsere Fertigkeiten auf diesen neuen Anwendungsfall. (Wie an fast jedem normalen Arbeitstag eines Konferenzdolmetschers).
  • Wir haben einen Blick dafür, was geht; auch, weil wir das richtige Werkzeug sowohl kennen als auch besitzen (oder jemanden kennen, der es uns leihen kann). (Flüstern für eine zwölfköpfige Delegation sicher nicht. Wir verstehen es, große Dokumentenmengen zu bändigen, und wissen, wer gute Simultantechnik liefert.)
  • Wir können Prioritäten setzen: Welche schiefe Schraube muss noch einmal herausgedreht werden, weil sonst alles instabil wird, was kann man getrost schief stecken lassen? (Welchen Dolmetschfehler muss ich korrigieren, damit kein dramatisches Missverständnis entsteht, was kann ich stehen lassen?)
  • Spontan auftretende Schwierigkeiten halten uns nicht auf. Ein Fehler im Zuschnitt wird entweder durch Umplanung beantwortet oder die tragbare Kreissäge, die für den Fall der Fälle schon bereitsteht (wir sind immer gut vorbereitet), kommt zum Einsatz. Zu lange, auf der anderen Seite herausstehende Schrauben bedeuten nicht zwingend, dass man noch einmal zum Baumarkt fährt, sondern dass man sie kurzerhand abflext. (Fällt die Simultantechnik aus, gehen wir in den Raum und dolmetschen konsekutiv oder flüstern. Liegt das Vorbereitungsmaterial über die technischen Finessen eines Fertigungsarbeitsplatzes in Zeiten von Industrie 4.0 nicht vor, schöpfen wir aus unserem Vorwissen und machen mit Hilfe des Kabinenpartners, der uns mit Spontanrecherche und Mitschrift unterstützt, trotzdem etwas daraus.)

Theoretisch hätte ich bei dieser Baumaßnahme jeden einzelnen Handgriff auch selbst tätigen können, aber letztendlich ist doch auch ein Hühnerhaus mehr als die Summe seiner Teile. Wahrscheinlich hätte ich am falschen Ende angefangen, die falschen Bohrer verwendet und mir auch nicht die Mühe gemacht, die Sitzstange abzuhobeln, damit die Hühner keine Splitter in die weichen Fußballen bekommen.

Die richtigen Fragen stellen und der Blick fürs Ganze, das können auch Experten von Experten lernen. Also seid Experten und erfreut Euch an ebensolchen, wo Ihr nur könnt!

PS: Sehr interessant: In diesem schönen Artikel über Expertentum aus Experten-(Psychologen-)Sicht von Tad Waddington findet sich Einiges aus der Dolmetscher-Hühnerhaus-Analogie wieder.

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Über die Autorin:
Anja Rütten ist freiberufliche Konferenzdolmetscherin für Deutsch (A), Spanisch (B), Englisch (C) und Französisch (C) in Düsseldorf. Sie widmet sich seit Mitte der 1990er dem Wissensmanagement.

+++ English version +++

I had no idea how inspiring it could be to build your own chicken coop. But those who have shared a booth with me lately and were obliged to admire my chicken photos may have been wondering for some time when those lovely hens will finally make their way into this blog. Now, then:

During the last autumn break my father, my son, my daughter and myself spent a day and a half designing and building a splendid new hen house. My father has a track record in the sauna-building industry and, besides, owns an excessively well-equipped little basement workshop, which made it an utmost pleasure to work together. Only later did I realise that I had experienced this fascination before when watching experts at work, i.e. people who really seem to know what they are doing. This phenomenon called expert, or expertise, is something we come across very often as interpreters (and increasingly so as interpreters tend to be recruited more often when very specific subjects are being discussed). And to me it is all the same whether I can watch or listen to a coder, farrier, slaughterhouse inspector, patent lawyer or statistician. It seems to me that most experts act alike, in a certain way, no matter if they build wooden boxes or, say, act as conference interpreters:

  • We don’t do things by halves. No cheap stuff – better go for the robust OSB panels and not the inexpensive chipboard. No hurry, think everything through properly. We always come well prepared, after all. (We don’t like bad sound, neither are we very fond of badly fitting headphones and even less of bad information supply before a conference.)
  • We do not buy the ready-made fancy little 300 € coop on Amazon. We rather ponder the pros and cons of what might best be suited for this particular house and garden and find and individual solution (in this case, drilling a big hole into the outer wall of the garage and putting the coop up against this wall from the inside). (We translate the message the speaker wants to convey in this particular situation and do not mechanically put together words like a dictionary on legs. We find a suitable mode of interpretation for any weird situation.)
  • We use our imagination in order to create the perfect solution – on paper first – which we then put together from a pile of custom cut-to-size wood panels from the DIY store. (We know exactly when sim or consec work better and we will find exactly the right people for a team to suit the needs of this special customer. Just like we think the speech alongside with the speaker and then present another version of it to the audience in the other language which will work for them).
  • We may well never have built a hen house in our lives, but we are smart enough to familiarise ourselves with the subject and transfer our knowledge and our skills to this new task. (The usual stuff on any day in the life of a conference interpreter).
  • We can tell what’s possible and what’s not; also because we know and possess the right tools (or know who to borrow them from). (Whispered interpretation for a delegation of twelve? Surely not. We know how to handle huge amounts of documents and where to rent the best conference equipment.)
  • We know our priorities: Which one of the badly placed screws can just stay where it is and when is it a good idea to take it out again and screw it in properly in order to prevent the whole thing from falling apart? (Which error do I need to correct when interpreting because there will be a terrible misunderstanding otherwise, which one will most probably pass unnoticed?)
  • Unexpected difficulties won’t stop us. One of the panels cut to the wrong dimensions means we just rearrange our construction or use the portable circular saw we have already brought, just in case (We always come well prepared, after all). If the screws turn out to be too long and stick out on the other side of the wall, we don’t necessarily go back to the DIY store to get some shorter ones. We may as well cut them off using this very handy little angle grinder we happen to possess. (If the booth sound system fails, we will get out of our booths and do consecutive or whispered interpretation if ever possible. Have we not received any information about the technical details of a modern shop floor setting in times of industry 4.0 then we will still be able to make something of it on the basis of our experience and the help of our colleague who will be doing emergency internet research and/or emergency scribbling.)

Theoretically, I would have been able to carry out every single task on my own. But I have learnt that a chicken coop is more than the sum of its parts. I would most probably have started at the wrong end, used the wrong drills and wouldn’t have bothered smooth-planing the perch so that the chickens don’t get splinters in the soft little balls they have under their feet.

Asking the right questions and seeing the big picture, that’s what experts can learn from experts. So: Be an expert, watch out for those around you and enjoy!

PD: Very interesting: Many an aspect of this henhouse-interpreter analogy can also be found in this very nice article about expertise from the expert‘s/psychologist‘s view by Tad Waddington.

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About the author:
Anja Rütten is a freelance conference interpreter for German (A), Spanish (B), English (C) and French (C) based in Düsseldorf, Germany. She has specialised in knowledge management since the mid-1990s.

+++ Versión española +++

No tenía ni idea de lo inspiradora que puede ser la construcción de un gallinero. A los que han estado en cabina conmigo últimamente ya les tocó admirar las fotos de mis gallinas como si fueran mis bebés, ya se habrán preguntado cuánto tardarían en aparecer en mi blog. Pues ahora sí:

En las últimas vacaciones de otoño mi papá, mi hijo, mi hija y yo nos pasamos día y medio construyendo un gallinero. Mi padre se ha ganado la vida en la construcción de saunas, y además dispone de un taller exageradamente bien equipado, y realmente disfrutamos un montón de estar ahí todos juntos haciendo bricolaje. En retrospectiva, me quedó aun más claro por qué: Es que me encanta observar a un experto (o experta, claro) en su trabajo, y lo hago bastante seguido – un efecto secundario muy grato de lo (cada vez más) técnico que resultan muchos trabajos de interpretación. Y me da igual si se trata de un herrador, programador, inspector de matadero, abogado de patentes o estadísticos, mientras me dejen observar o escucharlos. Y mi impresión es que los expertos tienen, o mejor dicho tenemos, ciertas pautas de comportamiento en común, ya sea que se trate de ingenieros de gallineros o de intérpretes de conferencias:

  • No nos conformamos con las cosas hechas a medias. Tampoco usamos material barato – nada de tableros aglomerados de baja calidad, mejor los tableros OSB de virutas orientadas. Y no lo hacemos todo rápido, sino con calma y bien pensado. Siempre llegamos bien preparados. (A nosotros no nos gusta ni el mal sonido, ni los auriculares mal ajustados, ni mucho menos la falta de información para preparar una conferencia.)
  • Tampoco compramos el gallinero prefabricado en Amazon por 300 EUR, sino que sopesamos las ventajas y los inconvenientes de las diferentes opciones para encontrar la solución perfecta para esta casa y este jardín en particular. En este caso, consistía en perforar la pared del garaje y montar el gallinero contra la pared desde el lado interior. (Interpretamos lo que el orador quiere decir en esta situación y no nos limitamos a ser diccionarios vivientes. En situaciones absurdas encontramos la manera de hacer posible la interpretación.)
  • Tenemos la imaginación suficiente como para diseñar – primero sobre el papel – el gallinero perfecto, para luego armarlo del montón de tablas cortadas a la medida, que nos facilitaron en el negocio de materiales para la construcción. (Sabemos decir exactamente en qué situación va a funcionar la interpretación simultánea o consecutiva y qué equipo de colegas conviene enviar a qué cliente. Acompañamos al orador en sus pensamientos y creamos para el auditorio del otro idioma un discurso adecuado que funcione para ellos en ese )
  • Aunque nunca jamás en la vida hayamos construido un gallinero, nos familiarizamos con el tema y aplicamos nuestros conocimientos y nuestras aptitudes a ese nuevo caso (Lo normal en la vida de un intérprete de conferencias).
  • Tenemos buen juicio para saber lo que es posible y lo que no; porque conocemos también las herramientas adecuadas y disponemos de ellas (o por lo menos sabemos a quién pedirlas prestadas). (Susurrar para una delegación de doce personas – seguro que no; sabemos manejar grandes cantidades de documentos y en dónde conseguir el mejor equipamiento técnico.)
  • Sabemos fijar prioridades. Un tornillo mal colocado: ¿Mejor lo vuelvo a quitar y lo pongo bien?, porque si no, todo se puede venir abajo; o bien ¿puedo dejarlo tal cual y nadie se va a enterar? (¿Cuáles son los errores de interpretación que hay que corregir para evitar malentendios dramáticos? ¿Y cuáles son los que van a pasar desapercibidos?)
  • Las dificultades imprevistas no nos pueden detener. Una tabla mal cortada – pues nos reorganizamos un poquito, o usamos la sierra circular que, por si acaso, ya habíamos traído (porque siempre llegamos bien preparados). Si los tornillos son demasiado largos y salen por el otro lado de la pared, eso no significa que debamos volver a la tienda para comprar otros; más bien los cortamos con la amoladora angular. (Si falla el sistema de sonido, salimos de las cabinas e interpretamos de modo consecutivo o susurramos, según permitan las circunstancias. Si no disponemos de la documentación sobre, digamos, los puestos de trabajo ultra conectados en las factorías de la industria 4.0, igual nos organizamos, aprovechando nuestros conocimientos previos y el apoyo del colega que nos apunta cosas y busca términos en internet.)

En teoría, habría sido capaz de hacer cada una de las maniobras yo solita, pero al final, inclusive un gallinero es más que la suma de sus partes. Probablemente habría empezado por el extremo equivocado, habría usado el taladro equivocado y tampoco se me habría ocurrido alisar la percha para que las gallinas no se astillaran las delicadas plantas de sus patitas.

Hacer las preguntas acertadas y siempre contemplar el sistema en su conjunto – eso es algo que los expertos podemos aprender de otros expertos. Entonces: ¡Seamos expertos y disfrutemos de aquellos con los que nos podamos topar!

PD: Muy interesante: En este artículo maravilloso sobre la pericia – desde el punto de vista de un experto/psicólogo – de Tad Waddington se pueden encontrar algunos aspectos de la analogía gallinero-interpretación https://www.psychologytoday.com/blog/smarts/200901/defined-expertise-its-not-how-smart-you-are-how-much-you-know-matters von Tad Waddington.

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La autora:
Anja Rütten es intérprete de conferencias autónoma para alemán (A), español (B), inglés y francés (C), domiciliada en Düsseldorf/Alemania. Se dedica al tema de la gestión de los conocimientos desde mediados de los años 1990.

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